von Hannah Wustrack
,,Verrückter Vogel´´: So kündigte Jens Peter, Schulleiter des Gymnasiums Winsen, am Mittwoch, den 29.06.2022 in einer kurzen, vertrauten Rede Ivar Buterfas-Frankenthal an. Etwa 150 Schüler und Lehrer hatten sich um ihn versammelt, weitere waren über eine Konferenz zugeschaltet, um der Geschichte des Holocaust-Überlebenden zuzuhören. Doch bevor alle in seine Erlebnisse eintauchten, sprach Landrat Rainer Rempe einleitend über die ,,Geschichte voller Angst, Ausgrenzung, [...] aber vor allem eine des Überlebens und gegen das Vergessen`` und warnte alle Zuhörenden direkt zu Anfang: Es sei ein Irrtum, davon auszugehen, dass sich Geschichte nicht wiederhole. Organisierender Lehrer Henry Ruppenthal wies gleichzeitig jedoch darauf hin, welches Glück wir historisch gesehen mit der Zeit und dem Ort an dem wir leben hätten.
Buterfas-Frankenthal ging direkt auf dieses Thema ein und berichtete von seinem Neffen Michael T., der vor einigen Monaten einem antisemitischen Angriff zum Opfer fiel und bereits ein Auge verloren hatte, um das zweite kämpfe er noch. Er nutzte diese Nachricht dazu, sein erstes Statement zu verdeutlichen. Mit seinen Auftritten, die sich inzwischen bereits über drei Jahrzehnte und mehrere Länder erstreckten, will Buterfas-Frankenthal einen ,,Schluss mit Schlussstrich`` setzen, damit sich die Ereignisse der Vergangenheit niemals wiederholen.
Kurz darauf ging er direkt auf die Schüler ein, machte ihnen klar, dass sie die Erwachsenen von morgen seien und eine Riesenchance hätten. Immer wieder ging er auf die heutigen Privilegien ein, die ihm damals verwehrt wurden. Vor allem über unsere gute Schulbildung freue er sich, er habe nämlich sehr schlimme Erfahrungen in der Schule gemacht. Nur sechs Wochen nach seiner Einschulung hieß es für Buterfas:
,,Du brauchst überhaupt nicht wiederzukommen. Du bist Jude und hast an dieser Schule nichts zu suchen!´´
Nach dem Krieg hieß von einigen Mitschülern, es sei alles nur Schwindel und gar nicht so schlimm gewesen, sodass er bereits mit 14 Jahren aufgrund von großer Diskriminierung die Schule verlassen musste: ,,Mir wurde meine Kindheit, meine Jugend, meine Schule gestohlen.´´
Auch das ,,stabile Deutschland´´ sei ein großes Privileg heutiger Zeit. Innerhalb von zwei Tagen und zwei Nächten sei Hamburg komplett zerstört worden, mitsamt 30.000 Menschenleben: ,,Es stand kein Haus mehr, keine Kirche.``
Danach gab er einiges über unsere heutige Demokratie an. Sie sei sehr fragil und man müsse in einer Demokratie einiges ertragen, letzteres kommt in Verbindung, wie viel genau man ertragen müsse oder hinnehmen wolle, immer wieder vor. Ein direkter Appell geht mit der Aufforderung, ihr Kreuz in Zukunft an der richtigen Stelle zu setzen, an die Schüler. Antisemitische Angriffe seien allein von 2020 bis 2021 bereits um 40% gestiegen und [einige] Menschen hätten nichts in diesem Land zu suchen, so Buterfas-Frankenthal.
Doch eines der zentralsten Themen belegte der sogenannte Fremdenpass. Diesen hatte er während der NS-Regimes bekommen, war somit staatenlos und ohne Identität. Dies sei das Schlimmste, niemand hätte einen Staatenlosen haben wollen und viele hätten sich deshalb suizidiert. Buterfas selbst hatte stolze 16 Jahre gebraucht, um seine deutsche Staatsbürgerschaft zurückzuerlangen, obwohl er sie als Hamburger rechtmäßig von Geburt an besessen hatte. Dieses Thema war für den Erzähler selbst auch sehr emotional geladen, seine Stimme wurde lauter und eindringlicher als im restlichen Geschehen. ,,16 Jahre waren mir alle Chancen in diesem Land genommen. [...] Nichts ist wichtiger, als sich gegen alles Unrecht zur Wehr zu setzen.´´ Die Schüler fordete er dazu auf, mit ihren Vorfahren darüber zu sprechen und teilte jedem dafür eine Kopie seines Fremdenpasses aus.
Doch was am eindringlichsten im Gedächtnis blieb und während der zwei Stunden für absolute Stille im ganzen Raum sorgte, war die Schilderung der unglaublichen Ausgrenzung und Gewalt, die zu damaligen Zeiten und heute in Reaktion auf diese herrschte.
,,Bestraft wurden manche Menschen direkt auf der Straße. Sie wurden mit dem Tode bestraft.´´
,,Und so wurden sie vom Leben zum Tode befördert.´´
,,Damit ermordet man die Menschen noch einmal.´´
Dazu kam sein persönliches Schicksal, wie sein Bruder Rolf sterben musste, da kein Arzt einen Juden behandeln wollte oder einige Verrate, bei denen er nur knapp den Fängen der Nazis entrann.
Eine Schuldzuweisung wolle Buterfas-Frankenthal jedoch niemals vornehmen. Nicht alle, die die NSDAP unterstützt hatten seien Mörder gewesen und für ihn zähle nur eins, [denn] vergeben habe er längst, sonst wäre er nicht in diesem Land geblieben [. Doch] vergessen habe er [hingegen] nichts.
Abschließend ist zu sagen, dass er heute glücklich ist, seit er seine Frau kennengelernt hatte habe er nur noch einen Aufwärtstrend erlebt und er habe ihr alles zu verdanken. Einer Religion gehöre er jedoch nicht an, da er keine von ihnen vollkommen vertreten könne: ,,Das einzige, was mir verbleibt, ist menschlich zu denken.´´
Schließlich liest er dazu aus einem Brief als Appell an alle vor, wir müssten Antirassisten