„Ich wurde unter dem gelben Stern geboren“ – Holocaustüberlebender Ivar Buterfas-Frankenthal hält Vortrag am Gymnasium Winsen
„Ich wurde unter dem gelben Stern geboren“ – Holocaustüberlebender Ivar Buterfas-Frankenthal hält Vortrag am Gymnasium Winsen

Ivar Buterfas-Frankenthal ist mit seinen 90 Lebensjahren zurzeit ein gefragter Redner. Er ist einer der letzten Zeitzeugen, der die NS-Herrschaft als Verfolgter überlebte und noch persönlich von seinen Erfahrungen berichten kann. Vor dem Hintergrund der Terrorangriffe der Hamas am 07.10.2023 in Israel, dem Krieg in Gaza und den steigenden antisemitischen Straftaten in Deutschland bekommen seine Schilderungen eine neue Form der Aufmerksamkeit.

In den letzten Wochen hörte man seine Stimme im Radio, sah ihn auf dem Spiegel-Titelcover und bei Markus Lanz im Fernsehen, wo er sich bezogen auf den Krieg in Gaza für eine Zweistaatenlösung aussprach und sein Bedauern für die Opfer beider Seiten zum Ausdruck brachte.

Am vergangenen Montag, den 04.12.2023 sprach er am Gymnasium Winsen vor 150 Lernenden des 10. Jahrgangs, der Geschichtsleistungskurse und über einen hausinternen Videostream zu ca. 550 Lernenden von Klasse 8 bis zum 13. Jahrgang des Gymnasium Winsen an der Bürgerweide. Buterfas-Frankenthal wurde 1933 als Sohn eines Vaters mit jüdischem und einer Mutter mit christlichem Glauben als sogenannter „Halbjude“ geboren. Er wurde von den Nationalsozialisten vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt und verfolgt. Er überlebte diese Zeit und besucht mit seiner Frau Dagmar seit den 1990er Jahren in über 1500 Veranstaltungen Bildungseinrichtungen, um den Nachgeborenen unmittelbar von seinen Erlebnissen aus der NS-Zeit und den Ausgrenzungserfahrungen in der neuen Bundesrepublik zu berichten. Dieser ausdauernde Einsatz gegen das Vergessen und für die demokratischen Werte der deutschen Bundesrepublik wurde er u.a. mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse honoriert.

Nach der Begrüßung durch den Schulleiter Jens Peter und einleitenden Worten zum historischen Kontext und der heutigen Bedeutung des Themas durch den ersten Kreisrat Joseph Nießen klärte Henry Ruppenthal, Fachbereichsleiter für Geschichte, über die historischen Hintergründe des Antisemitismus auf. Und was das für einen Menschen mit Vorfahren jüdischen Glaubens bedeutet, vermochte Buterfas-Frankenthal eindrücklich zu schildern. Detailliert ging er auf die geschichtlichen Hintergründe ein und befasste sich mit der Frage, wie eine deutsche Republik sich zu einer Diktatur entwickeln und es zum größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, dem Holocaust, kommen konnte. Dabei beleuchtete er die Niederlage des Deutschen Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg, den daraus resultierenden Versailler Vertrag und die festgelegten Reparationszahlungen. Diese Belastungen hätten zu einer starken Schwächung der noch jungen Republik geführt. Die Nationalsozialisten hätten damals Schuldige für die Situation gesucht und in den Juden gefunden, was großen Zuspruch in der Bevölkerung fand. Nachdem Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, bekamen die Diskriminierungen eine neue Dynamik und führten zu den Inhaftierungen von sogenannten „Volksverbrechern“. Dazu zählten sowohl Gegner der Nationalsozialisten als auch die jüdische Bevölkerung. So erging es auch dem Vater Buterfas-Frankenthals, der als einer der ersten Juden ins Konzentrationslager Esterwegen gebracht wurde. Seine Mutter musste sich fortan alleine um die acht Kinder kümmern. Ihre Bemühungen, den sechsjährigen Ivar im Jahr 1938 einzuschulen, waren nur von kurzer Dauer. Noch im selben Jahr musste er die Schule wieder verlassen. Mit den Worten „Hör zu, du kleiner Judenbengel, du nimmst sofort deine Sachen aus der Klasse und machst dich auf dem schnellsten Weg nach Hause! Du brauchst morgen auch nicht wiederzukommen, du lässt Dich überhaupt nicht mehr blicken, und jetzt verschwinde!“, wurde er vom Schulleiter der Schule verwiesen. Danach wurde er von älteren Kindern aus der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädel abgefangen. Sie stellten ihn auf ein mit Papier gefülltes Abtrittrost, zündeten es an und drohten: „Jetzt rösten wir den Juden“. Er überlebte nur durch die Hilfe von Passanten. Ausgrenzung und Diskriminierungen prägten fortan seine Jugend, da es den anderen Kindern verboten war, mit ihm zu spielen. Mit der fortschreitenden Entrechtung jüdischer Menschen wuchs der Druck auf die Familie Buterfas und sie flohen nach Pommern in die Tucheler Heide, wo sie denunziert wurden und zurück nach Hamburg flohen, um sich u.a. im Keller eines ausgebombten Hauses zu verstecken. Die Familie wechselte ihre Kellerverstecke regelmäßig, aus Angst, sie könnten entdeckt werden. Um zu überleben, holten sie Konserven aus den Kellern verlassener und beschädigter Häuser. Eines Tages fand sein älterer Bruder in einem der Keller Handgranaten. Wenn sie gefunden würden, so sagte er, dann wolle er wenigstens noch ein paar Nazis mit in den Tod reißen. Sie kamen nicht zum Einsatz. Als die Stadt Hamburg am 3. Mai 1945 den Briten übergeben wurde, war zwar die Zeit der Todesangst vorbei, Schicksalsschläge, Anfeindungen und Diskriminierungen fanden allerdings kein Ende. Mit der Befreiung der Konzentrationslager wurde sein Vater freigelassen, kehrte jedoch zeitnah der Familie den Rücken, weshalb sie wieder auf sich allein gestellt waren. Hinzu kam, dass das nationalsozialistische Gedankengut in der Bevölkerung weiterhin existierte und es für Ämter des öffentlichen Dienstes nicht genügend unbelastetes Personal gab. So kam es auch, dass dieselben Beamten, die Buterfas-Frankenthal 1942 die Staatsbürgerschaft entzogen und ihn für staatenlos erklärten, nach dem Krieg dafür zuständig waren, ihm diese wieder auszustellen. Erst 1964 erhielt er diese zurück. Bis heute erlebe er Anfeindungen, weshalb sein Haus einer Festung gleiche. Trotzdem lassen es sich Dagmar und Ivar Buterfas-Frankenthal nicht nehmen, öffentlich aufzutreten und ihre Geschichte zu erzählen, die gerade als Buch „Von ganz, ganz unten“ erschienen ist. Auch wenn Ivar Buterfas-Frankenthal sich mit den Worten „Ich fühle mich sowas von Wohl, hier vor euch zu stehen“ verabschiedete, will er ab dem Januar 2024 aus gesundheitlichen Gründen keine Vorträge mehr halten. Die Tatsache, dass die Schüler:innen im Jahr 2023 noch einen Holocaustüberlebenden in ihrer Schule treffen und den ergreifenden Schilderungen folgen konnten, wird den Schüler:innen des Gymnasium Winsen in Erinnerung bleiben.

Wir bedanken uns beim Schulverein für die großzügige finanzielle Unterstützung der Veranstaltung.

Jasmin Richtberg, Jana Eddelbüttel & Hanna Ohlsen

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